Sonntag, 7. April 2013
Tochter eines Koreaners
Ihr Vater arbeitet für Seoul, für die Regierung.
Ihre Mutter ist das sanfte Frauenideal.
Ihr kleiner Bruder sieht es als Abwechslung.
Sie leidet stumm, sanft, wohlerzogen.

Er ist pflichtbewusst und streng.
Sie ist eine gute Mutter und Hausfrau.
Er ist naiv und verspielt in seiner Unschuld.
Sie begreift und lächelt mit ihrem Mund.

Sie ziehen alle drei Jahre um wegen ihm.
Sie widersetzt sich ihrem Mann nie.
Er ist glücklich solange seine Familie da ist.
Sie verliert jedes Mal ihre Freunde.

Ihr Vater ist nie Zuhause und fremd.
Ihre Mutter ist verständnisvoll aber seins.
Ihr Bruder ist ihre Erleichterung und Freude.
Sie ist angewiesen auf alle und still.

Er lässt sie nicht aus den Augen.
Sie steht immer hinter ihm.
Er ist offensichtlich und zu jung.
Sie verabscheut ihren Familiennamen.

Er gibt Geld und nimmt Unabhängigkeit.
Sie liebt ihren Mann mehr als ihre Kinder.
Er liebt seine Schwester und Eltern.
Sie trägt viele Masken und hasst es.

Sie stellt sich mir als Sophy vor.
Sie will ins Ausland gehen und frei sein.
Sie will unzensiertes Wissen und fragt viel.
Sie will träumen und zu leben lernen.

Wir reden viel.
Wir werden Freunde.
Sie hat Angst vor dem brauenden Koreakrieg.
Sie hat gestern mit ihren Augen gelächelt.

Ich nenne sie Sophy.
Ich zeige ihr, wie man träumt.
Ich erzähle ihr, wie man selbständig ist.
Ich versuche, ihre Fragen richtig zu beantworten.

Ich helfe ihr, die Tochter eines koreanischen Regierungsbeamten zu sein.
Sie lernt, sanft aber nicht stumm zu sein.
Sie beginnt, ihre Eltern zu verstehen und zu sehen.
Wir entdecken, alles hat mehr als ein Gesicht.


Er liebt seine Tochter, auch wenn er es nicht zeigen kann.
Sie unterstützt ihre Tochter, wo sie kann.
Er liebt seine Schwester bedingungslos.
Sie ist und bleibt, eine südkoreanische Tochter, die erwachsen wird.



3 Carats Bar. Und du.
3 Carats, Bar und Diskothek in einem, in einer kleinen vergessenen Gasse neben der Größen Südstraße Xi'ans. Gleich neben der bunt schillernden Disko Fantasy. Über 40 Leute, gemischte Geschlechter. Zurückgegelte Haare, Highheels und schwingende Miniröcke. Kippenrauch, zuckende und tanzende Lichterspots. "Latin Beats" tritt heute Abend auf. Drei Kubaner, zwei junge Männer, eine extrovertierte Sängerin. Er sitzt auf dem Cajon, sie wippt, er steht mit der Gitarre um den Hals. Dann. Er beginnt mit seinen Händen einen mitreißenden Rhythmus auf seiner make-shift Trommel. Meine Lippen verziehen sich unweigerlich in ein Lächeln. Die Gitarre sitzt ein, und dann, dann, ertönen die ersten spanischen Wörter in ihrer Stimme.
Alle werden mitgerissen.

Ich weiß, dass ich meine Lieblingsband hier gefunden habe. Mein Lächeln wird zu einem Gluckser. Margot, temperamentvoll, rothaarig, Französin aus Saint Tropez. Ihr Lachen ist ansteckend. Die Sängerin kennt uns schon. Sie zieht und auf die Bühne zu sich. "Shake it, shake it, Ladies!" Wir fühlen die Musik, fieberhaft. So stelle ich mir Lateinamerika vor. So fühle ich Lateinamerika. Margot schlingt ihre Arme um meine Hüften. Sábado, die kurvige Sängerin, lächelt lasziv in die Menge. Ihre Hüften wiegen sich langsam, fast faul, in einem bewussten Bogen, einer Acht, einladend. Mitreißend. Meine Augen sind geschlossen, ich bin entspannt.
Wir haben die "3 carats bar" per Zufall gefunden, als wir letzte Woche betrunken aus einer nahen Disko gestolpert kamen. Damals waren wir sieben Mädels, darauf aus, uns die Seele aus dem Leib zu tanzen. Heute haben wir alle, die zählen, mitgebracht. Ausnahmslos alle wiegen und winden sich im Takt des Latin Beat. Selbst die scheuen Jungs. Lebensfreudige Mexikaner, konservative Amerikaner. Bleiche Engländer und exotische Koreaner. Alle sind gekommen. 3 Karat wert. Hochkarätig.

Ich lächle ins flimmernde Licht. Ich tanze, ich bin lebendig.
Puls, Herzschlag, Emotionen.
Ich denke an dich. Ich würde heute, hier, jetzt gerne mit dir tanzen. Mit dir fühlen.


In sieben Wochen zeige ich dir, wie lebendig ich mich heute Abend fühle.



Gepiercte Standbilder
Das chinesische Einkaufszentrum "Luo Ma Shi", 28. März 2013, 17.13 Uhr . Donnerstag. Ich bin seit grob acht Monaten in China. Das zweite Semester hat begonnen, und mit ihm sind alte Freunde gegangen und neue angekommen. Darunter Blandine, eine süße, naive Französin. Neunzehn, aber so zierlich und schmal gebaut, dass sie auch locker sechzehn sein könnte. Wäre da nicht ihre sinnliche Art zu tanzen oder ihre langen hellbraunen Haare, die immer genauso liegen, als hätte sie ihren Freund nicht das letzte Mal vor einem Monat, sondern vor fünf Minuten gesehen. Sie steht in diesem Moment, den ich hier versuche einzufangen, über die Schulter ihrer marokkanischen Freundin Leila gebeugt da. Ihr Schal scheint fast liebevoll in Leilas dunklen wilden Locken verfangen; braune und schwarze Augen auf die Ohrringe des Schmuckstandes zu meiner rechten Seite fixiert. Meine Freundinnen aus dem letzten Semester, zwei adoptierte Holländerinnen und gebürtige Chinesinnen, stehen vor und neben mir. Shuxiu hat ihren Kopf neugierig zur Seite geneigt, als ob sie meinen Gesichtsausdruck intensiver studieren will. Dingding schaut mich aus ihren runden Knopfaugen an. Wangen leicht gerötet, während sie unbewusst auf ihrer Unterlippe kaut. Es wirkt fast so, als ob alle vier Mädchen mir meine Emotionen abnehmen wöllten oder die Gefühlsregungen zeigen, die nicht auf meinem eigenen Gesicht zu erkennen sind.

Ich stehe in dieser Minute, dreizehn Minuten nach fünf Uhr nachmittags, vor dem Schmuckstand. Ein großer, kahler Chinese drückt eine Zange an meinen Tragus, den Knorpelauswachs meines Ohres genau über dem Gehörgang und meinem rechten Ohrläppchen. Ich spüre das unangenehme Ziehen und Stechen in meinem Ohr, als ich meinen zweiten Piercing machen lasse. Ich starre die Leute um mich herum an. Die junge, abgearbeitet Chinesin mit dem Desinfektionsspray in den verkrampften Händen. Den Standbesitzer neben mir. Das kleine Mädchen, welches durch die langen Gänge des Einkaufszentrums rennt. Die verhärmte Bettlerin, die mit gelben Stummeln im Mund um Kleingeld bettelt, Hände und Haupt in zerlöcherten Lumpen versteckt.

Nun, wenn ich diese Eindrücke schreibe, verschmilzt alles zu einem einzigen Standbild. Ein Teppich aus Einkaufstaschen um die vier Mädels, die es nicht fassen können, das ich mir freiwillig ein Loch ins Ohr piercen lasse. Das Gemurmel hunderter geschäftiger Chinesen um mich herum, die starrenden und versteckten Blicke für uns, die "Lao Wai", die Ausländer. Ich spüre nur das stechende Gefühl. Und wenn ich jetzt meine Hand hebe, fühle ich das frisch gepiercte Ohr, und alles ergibt gepiercte Standbilder eines Moments in Xi'an - der Mitte des Reichs der Mitte.



Samstag, 30. März 2013
Chinesisches Neujahr - 春节
我的第一个春节在中国

那个寒假我去了到成都。从1月26日到3月1日我住了在我姑姑家。1月24日她给了我买一张飞机票。我一个人飞了到成都。那是我的第一次就我一个人旅行的。我到的时候我姑姑和她的儿子已经等了我。我住了在他们那儿, 但是我们经常去了看望她父母。
2月10日我两个叔叔,他们的爱人,儿子,舅奶奶,舅爷爷,姑姑,表弟和我咱们都一起过了年。我舅爷爷教了我饺子是怎么做的。我们十个人一共吃了342个饺子,喝了三平红酒。我现在会一点儿做饺子。
9点半我的两个表弟跑了到楼下,响了鞭炮。他们响得鞭炮声了特别粗重。我得到了四个红包,觉得非常高兴。我祝了每人恭喜发财, 身体健康。

那是我的第一个春节在中国。



Samstag, 2. März 2013
Es träumte mir... (Die Welt im 30° - Winkel)
Der Grad (von lateinisch gradus‚ Schritt) ist die traditionelle Maßeinheit für den Größenwert eines ebenen Winkels... Aber die komplette WELT im 30°-Winkel zu sehen, davon sagt Wikipedia natürlich nichts. Typisch. Aber okay, wir könnten jetzt rein hypothetisch, theoretisch, syn- und antithetisch (gehört hier zwar nicht dazu, aber es KLINGT so gut in der eindrucksvollen Aufzählung... Und die Hypothese ist immerhin die Lösung aus Synthese und Antithese), darüber hinwegsehen. Ich seh' die Welt nicht immer aus diesem bestimmten Winkel. Bin vielleicht sogar eher extrem weitsichtig und "open-minded". Alles engstirnige und klein-winklig-und-klein-kariertes hat ein halbes Jahr China ausradiert.

Nur, der Rückflug von Chengdu nach Xi'an hat von 54 Minuten Flugzeit 7 Minuten im linken oder rechtswärtigen 30-und-mehr Gradwinkel verbracht. Reizende Perspektive, entzückend bei leichten Turbulenzen und extrem empfehlens- und dankenswert für die 'mittelalte' Frau neben mir. Wirklich ganz reizend. Danke für die Erfindung der Kotztüte. Lebensretter oder Frauenretter. Aber, was ich dem 30°-Winkel lassen muss: bei Nacht und schräg darüber schwebend sieht Chengdu atemberaubend aus.

Wenn ich auf die vielen gelben und orangenen Striche und Linien im nächtlichen Schwarz des Bodens schau', dann kann ich mir nur weiter zur Fensterluke lehnen und während den wenigen Minuten des Fluges 3U8803 träumen. Mir träumte es...
Während unter mir X-lose Geschichten hinter jedem Lichtfleck und Auto-Miniatur-Glühwürmchen steckt, meine Nebensitzerin diese Minuten und vielleicht auch die Aussicht wortwörtlich zum Kotzen findet. Und ich meinem letzten Semester und Chinaabschnitt entgegenflieg. Grobe dreißig Grad als Zeichen und Variable für ein letztes Drittel meiner Zeit hier.

Während ich das hier schreib, aus meinem Zimmer in Xi'an nach 6 Wochen Chengdu, fühlt es sich unwirklich an, wieder hier zu sein. Als schließt sich ein kleiner Zirkel im großen Chinakreis. Wie werde ich mich erst fühlen, wenn ich wieder Zuhause in Deutschland bin und von 268 Tagen und 360° China träum'?