Kulinarische Freuden und Leiden
Semesterferien sind fast vorbei. Das waren meine ersten, hoffentlich nicht meine letzten. Angenehme kleine Kerlchen. Sehr empfehlenswert, nur dem eigentlichen Semester gegenüber viel zu unterbewertet. Nächsten Montag heißt's dann wieder: Unterricht, Lernen, Schriftzeichen in Rekordzeit ins Hirn hämmern. Und das hoffentlich nicht nur ins Kurzzeitgedächtnis.
Noch zwei Tage in Chengdu, der "Stadt der schönsten Mädchen", "Ort des schärfsten Essens in China". NICHT scharf bedeutet hier, gerade so erträglich für den deutschen 0815-Bürger. Was mich diese wunderscharfe Stadt gelehrt hat?
1. Frag nicht, WAS genau du isst.
Solange es gut schmeckt, ist das alles was du wissen musst und willst.
2. Fischköpfe lehnt man nicht ab, genauso wenig wie rohe Muscheln und Tiermagen. Delikatessen der anderen Art, aber annehm-zwingend.
3. Ältere und Senioren sind mit dem größten Respekt zu behandeln. Höflichkeit, Zuvorkommen und Arm-und-Bein ausreissen für Respektpersonen ist ein Muss.
4. Ich habe eine neuentdeckte Allergie gegen rohen Fisch oder oben genannte rohe Muscheln. War alles etwas vermischt angeboten im Sushirestaurant.
5. Luftmangel, Ausschlag und krebsrote Gesichtsfärbung sind out, unangenehm und Punkt 2 und 3 zu verdanken.
Da kommt doch regelrechte Freude auf, Ende Mai das Land der 1001 Gerichte wieder hinter sich lassen zu dürfen. De facto war ich von den kulinarischen Genüssen und Foltern hier so angetan, dass ich gestern ein Drei-Gänge-Menü für meine Familie plus Freunde gekocht habe. Deutsch, versteht sich. Salat. Bratkartoffeln, Hünchenschlägel, Gemüse. Apfelküchle mit karamellisierten Pfirsichen. Ihre offenkundig gemischten Gefühle, ja gar ihre Gesichter beim Zuschauen und Bestaunen, wenn nicht gar kritisch Beäugeln meines Zutatenmixes, sind genug Entschädigung für meine eigenen Beäugelungen und enthusiastisch versteckten Zweifel an Schlangeneintopf und gegrillten Seidenwürmern.
Auf dass die nächsten Semesterferien genauso schön aber kulinarisch weniger ausgefallen werden!
kulturbanausin am 25. Februar 13
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Zweitausenddreizehn Schlangen
Also schlängelt man sich wieder einen Weg durch das Menschengetümmel. Fast zwei Milliarden schwazhaarige Chinesen, alle Südlichen mehr oder weniger schmal gebaut, zierlich und mit dunklen Augen. Nördliche Bewohner, breit, kräftiger und mit gröberen Gesichtsszügen. Sie alle wollen nach Hause, zu ihren Liebsten und Nicht-so-Liebsten. Zum chinesischen Neujahr, Frühlingsfest, Schlangenjahr zählen Streits und Unstimmigkeiten nicht mehr. Sie verblassen in der Betriebsamkeit der wichtigsten Feiertage dieses atheistischen Landes.
Das chinesische Neujahr bedeutet Familienzeit. Jede Firma schließt, jedes Unternehmen zahlt Neujahrsgeld, jede Manufakturfabrik atmet durch. Alter spielt keine Rolle, jeder kehrt zu seiner Familie und seinen Eltern zurück. Das Heim der Familienältesten ist der Treffpunkt des Geschehens.
Für grob zwei Wochen scheint das Reich in der Mitte also seinen Atem anzuhalten, alle Restaurants zu schließen und sich zu erholen. Auch meine Familie ist Teil des allgemeinen Wahnsinns.
Die Firma wird geschlossen. Die Computer zum einzigen Mal im Jahr komplett runtergefahren. Jeder Mitarbeiter zählt seinen Neujahrsbonus, meine Tante und ich fahren direkt zu ihren Eltern. Über zwei Tage bereiten wir das Essen für den zehnten Februar vor. Es wird Jiaozi geben, das traditionelle Neujahrsessen in ganz China. Kleine chinesische Maultaschen, welche mit einer Gemüse-Fleisch Füllung gefüllt werden. Grüntee, Reis, Baijiu. Den westlichen Einfluss spüre ich nur, als wir zu zehnt mit französischem Wein in kleinen chinesischen Teeschälchen anstoßen. "Xin Nina kuai le!" Ein fröhliches neues Jahr. Alle sind da. Von fern und nah. Wo gestern noch die Straßen von weit oben betrachtet geschäftigen Ameisenstraßen glichen, so ist heute fast alles ausgestorben. Vielleicht der einzige Tag, an dem ich mich traue, auf der Straße Fahrrad zu fahren ohne in Panik auszubrechen.
Seit dem achten Februar kann ich nachts nicht mehr schlafen. Wir wohnen im Zentrum Chengdus. Zehn Millionen Einwohner, viele davon in Vorfreude und Rumböller-Laune. Aber dann ist es soweit. Meine zwei kleinen Cousins rennen aufgeregt zur Türe. Sie dürfen ihre eigenen kleinen Feuerwerke eröffnen. Zwar noch nicht Mitternacht, aber das stört sie nicht und sonst auch niemanden. Immerhin böllern Alle schon seit Stunden. Hauptsächlich ist es einfach nur laut.
Nachts um zwölf scheint es mit für eine winzige Ewigkeit, als ob ich nicht mehr einzelne Knalls höre Sondernummer noch ein beständiges Riesengrollen.
Die Jüngsten freuen sich immer am meisten. Stell dir Weihnachten mit seinen Geschenken und den Familienzusammenkünften vor und Silvester mit seiner Vorfreude, Feuerwerk und Countdown.
Die Geschenke, dass sind die "Hongbaos", die roten Umschläge. In ihnen ist Geld versteckt und die jüngsten, unverheirateten und aufgeregtesten der Familienmitglieder bekommen sie.
2012 war das Jahr des Wasser-Drachen, welcher Glück, Reichtum und Güte brachte. 2013 gehört seiner Verwandten, der Wasser-Schlange. Sie ist das intelligentesten Zodiaktier. Ihre Eigenschaften sind Intelligenz, Logik und Kreativität. Außerdem, so erklärt mir mein alter Großonkel, ist dieses Jahr die perfekte Gelegenheit für mich, Geld besonnen und dafür sehr gewinnbringend anzulegen. Die Schlange sorgt für den Gewinn.
Was kann ich also da noch sagen? Doch das undurchsichtige Verhalten der Schlange fordert auch, kühl und analytisch zu bleiben für ein Jahr mit leicht zu entfachenden Konfrontationen.
Neue Mitarbeiter werden hier nicht zum 01.01. eines Jahres eingestellt sondern zum chinesischen Neujahr. Inventur wurde heute schon gemacht. Als fleißige, verzweifelte Praktikantin ohne wirklich tief gehende Chinesisch-Kenntnisse habe ich mich bei der Überprüfung der Dokumente denke ich ganz wacker geschlagen. Liste, Stift, Schlüssel für die Aktienkabinette und dann viel Erfolg.
Meinen roten Umschlag in der Hand schlängle ich mich, noch in einer dicken Winterjacke eingepackt, unter roten Lampions und den ersten Kirschblüten durch die endlos wogende Masse, wohin auch immer 2013 sich windet und hinführt.
Gong Xi Fa Cai! Glückwünsche und Wohlstand!
kulturbanausin am 19. Februar 13
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Park Qin
Verrückte Massen. Westliche Musik dröhnt aus den Boxen. Bass voll aufgedreht. Der Boden unter meinen Ugboots vibriert, meine Arme fühlen die Musik während ich mein amerikanisches Bier in einer westlichen Bar in China festhalte. Ganbei, Cheers, Salut wird durch den beengten Raum gegrölt. Zu viele Menschen auf zu engem Raum verpesten die Luft mit ihrem Shisharauch und Zigarettenqualm. Ein Mädchen trägt zuviel Parfüme, der süßlich abgestandene Duft mischt sich wie eine widerlich zarte Unternote unter die bittere verbrauchte Luft. Gestank alten Schweißes zu vieler Betrunkener.
"And I wait for you. With or without you... ," trieft die Stimme des Sängers aus den Boxen. Heute ist nur ein weiterer Abschied, einer der immer häufiger werdenden Abschiede in einer der zahlreichen Bars Xi'ans in der Barstreet. Ein weiteres feucht-melancholisches Besäufnis um den nächsten Freunden "Lebewohl" zu sagen. Was am Ende bleibt, sind die Zurückgebliebenen, die China noch etwas länger erforschen wollen, oder in manchen Fällen ertragen müssen. Aber am Ende ist dies Alles nichts außer einem weiteren aufgeschobenen Fliehen, Weggehen oder gezwungenem Abschied aus einer uns fremden und nicht wirklich greifbaren Kultur.
Ich bin seit über einem halben Jahr in China, versuche so viel wie möglich mitzunehmen, dieses aufstrebende Land zu begreifen und seine Bewohner zu verstehen. Studenten wie ich, meine Freunde aus aller Welt hier, WIR, sind diejenigen, die versuchen Brücken zu bauen, ein kleines bisschen asiatischer zu denken anstatt nur unserer eigene westliche festgefahrene Weltanschauung zu sehen. Oder, kürzer und auf den Punkt gebracht, "multikultureller" zu werden. Wir kratzen an der schlitzäugigen Oberfläche und nennen uns hinterher welterfahren.
Aber was mir hier in dieser kleinen, vollgestopften Bar klar wird, ist dass wir niemals perfekt mit unseren chinesischen Mitmenschen verschmelzen werden können. Dass wir zwar zusammen anstoßen und Smalltalk machen können. Dass wir immerhin und nur zusammen an einem Tisch sitzen können. Gemeinsam mit westlicher Musik und chinesischem Billig-Bier, mit blauen und mandelförmigen Augen, dasselbe betrachtend, einen Abend verbringen können. Manchmal einen erhaschten Moment oder eine gemeinsame Nacht erleben. Aber was bleibt ist die kulturelle Kluft, die noch nie kleiner und klaffender war als im Hier und Jetzt.
Das ist China für mich, das sind Ausländer aus einer westlichen Welt geworfen in eine asiatische Umwelt. Kapitalisten und Kommunisten. Meine Freunde und unsere chinesischen Mit-Biertrinker des heutigen Abends. Im englischen würde man mich als ein "third culture child"bezeichnen.
Die Bar Park Qin mit ihrem westlichen Namen, der ebenfalls den Namen des ersten chinesischen Kaisers trägt. Qin Shi Huangdi, Qins Park. Ein westliches Stück chinesischer Heimat und Ort meiner zum ersten mal dämmernden Erkenntnis. Prost bleibt da nur zu sagen, auf meine chinesischen und internationalen Freunde und meiner definitiv zu überwichtigen Gedanken für diesen Abend. Meine Freunde reisen weiter nach Australien, ich bald zurück nach Deutschland, alles nur einen Flugzeugsprung entfernt im Global Village.
kulturbanausin am 23. Januar 13
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